CE-Kennzeichnung bei Insolvenz: Was tun, wenn der Maschinenlieferant insolvent ist?

Die zunehmende Zahl an Unternehmensinsolvenzen stellt Betreiber von Maschinenanlagen vor völlig neue Herausforderungen. In vielen Fällen ist der Maschinenlieferant bereits mit der Montage beauftragt oder befindet sich mitten in der technischen Umsetzung. Doch dann folgt die Insolvenzmeldung. Der Kontakt bricht ab, niemand fühlt sich mehr verantwortlich und eine zentrale Frage steht plötzlich im Raum: Was passiert mit der CE-Kennzeichnung?

Diese Frage ist nicht theoretisch, sondern stammt aus der Praxis. In unserem Ingenieurbüro begleiten wir regelmäßig Projekte, bei denen genau dieses Szenario eingetreten ist: Die Maschine ist geliefert, teilweise montiert, aber eine gültige CE-Kennzeichnung fehlt. Der ursprüngliche Hersteller fällt vollständig aus und ein rechtssicherer Betrieb der Anlage ist unmöglich und es entstehen gravierende wirtschaftliche Folgen für den Betreiber.

In diesem Artikel erfahren Sie anhand konkreter Beispiele, welche Handlungsoptionen Betreiber in solchen Fällen haben, worauf Sie achten müssen und unter welchen Voraussetzungen eine CE-konforme Fertigstellung nach einer Insolvenz möglich ist.

Dirk Leitsch
Dirk Leitsch

Ihr Experte für die CE-Kennzeichnung von Maschinen und Produktionsanlagen.

"Gerne können wir Sie bei der CE-Kennzeichnung Ihrer Maschine oder Produktionsanlage unterstützen."

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

1. Rechtslage: CE-Kennzeichnung und Herstellerpflichten

Die CE-Kennzeichnung ist keine bloße Formalität. Sie ist der zentrale Rechtsakt, mit dem der Hersteller erklärt, dass seine Maschine allen geltenden EU-Richtlinien entspricht, insbesondere der Maschinenrichtlinie. Dazu gehört eine vollständige technische Dokumentation inklusive Risikobeurteilung, Betriebsanleitung, Konformitätsbewertung sowie die Konformitätserklärung.

Diese Erklärung darf ausschließlich vom „Hersteller“ im rechtlichen Sinn abgegeben werden. Ist dieser jedoch insolvent und nicht mehr handlungsfähig, kann keine gültige CE-Kennzeichnung erfolgen, es sei denn, ein Dritter übernimmt ausdrücklich und rechtsverbindlich die Rolle des Herstellers.

Der Ausfall des Herstellers bedeutet also:

• Es fehlt eine rechtliche Instanz, die für die Sicherheit der Maschine verantwortlich ist.
• Die Maschine darf nicht in Verkehr gebracht oder betrieben werden.
• Der Betreiber trägt im Zweifel das volle Risiko bei einem Unfall oder behördlichen Eingriff.

2. Projektfall 1: Härterei-Anlage mit teilfertiger CE-Kennzeichnung

Ein Betreiber aus der metallverarbeitenden Industrie hatte eine komplexe Härterei-Anlage bestellt. Diese bestand aus mehreren mit Gas beheizten Prozessöfen, automatisierten Transportsystemen, industriellen Teilewaschmaschinen sowie einem vollautomatischen Lagersystem. Die Maschine war bei der Lieferung bereits weit fortgeschritten montiert. Nur wenige Arbeiten standen noch aus.

Während der letzten Montagephase meldete der Maschinenlieferant jedoch Insolvenz an. Typenschilder waren zwar angebracht, doch die eigentliche Konformitätserklärung fehlte. Auch eine vollständige technische Dokumentation war nicht vorhanden. Der Insolvenzverwalter konnte oder wollte die Verantwortung nicht übernehmen. Damit war klar: Die Anlage durfte nicht in Betrieb genommen werden.

Ein wirtschaftlicher Totalschaden drohte. Die Investitionssumme lag im Millionenbereich, die Ausfallzeiten setzten die Produktion des Betreibers massiv unter Druck. Es gab zwei theoretische Möglichkeiten:

1. Die Anlage verschrotten oder Teilkomponenten abverkaufen.
2. Die Anlage selbst fertigstellen und die Herstellerrolle übernehmen.

Der Betreiber entschied sich für den zweiten Weg, auch wenn dies bedeutete, dass alle Voraussetzungen für eine CE-Kennzeichnung in Eigenverantwortung geschaffen werden mussten. Dazu gehörte die Klärung der Zuständigkeiten, die Neubeschaffung oder Neuerstellung technischer Unterlagen und eine vollständige Risikobeurteilung mit allen sicherheitsrelevanten Maßnahmen.

3. Handlungsoptionen für Betreiber

Steht eine halbfertige Maschine ohne CE-Kennzeichnung im Werk, ist schnelles und strukturiertes Handeln gefragt. Der Betreiber steht dabei vor zwei grundsätzlichen Optionen:

3.1 Option 1: Stilllegung und Verwertung

Die wirtschaftlich drastischste Maßnahme wäre die Aufgabe der Anlage. In der Praxis bedeutet das: Verschrottung oder Veräußerung einzelner Komponenten. Bei Anlagen mit Investitionsvolumen im siebenstelligen Bereich ist diese Variante jedoch selten tragfähig, allein die Beschaffung einer Neuanlage würde nicht nur neue Lieferzeiten bedeuten, sondern auch zusätzliche Millionenbeträge binden.

3.2 Option 2: Fertigstellung in Eigenverantwortung

Die zweite Möglichkeit ist die technische und organisatorische Fertigstellung der Maschine durch den Betreiber. Dieser Weg ist anspruchsvoll, aber rechtlich zulässig, sofern der Betreiber bewusst die Herstellerverantwortung übernimmt und alle Anforderungen der Maschinenrichtlinie erfüllt.

Dabei gibt es zwei praktische Wege:

Zusammenarbeit mit einzelnen Fachunternehmen, wie z. B. CE-Beratern, Steuerungstechnikern, Maschinenbauern und Verrohrungsfirmen. Diese Firmen übernehmen jeweils Teilleistungen. Der Betreiber selbst koordiniert alle Schnittstellen.

Beauftragung eines Generalunternehmers, der das Projekt vollständig abschließt. In der Praxis ist diese Variante jedoch meist nicht realisierbar, da sich kein Unternehmen bereit erklärt, die Gesamtverantwortung für ein fremdes, halbfertiges System zu übernehmen, insbesondere bei fehlender Dokumentation.

In den von uns begleiteten Fällen konnte kein Generalunternehmer gefunden werden, der diese Verantwortung übernommen hätte. Die Betreiber waren gezwungen, den Weg über Einzelvergabe und Eigenkoordination zu gehen.

4. Vorgehen im Projekt: Fertigstellung mit Einzelunternehmen

Im Fall der Härterei-Anlage wurde entschieden, die Fertigstellung mit spezialisierten Dienstleistern umzusetzen. Zunächst wurden alle Verantwortlichkeiten sauber geklärt. Der ursprüngliche Hersteller war nicht mehr verfügbar. Einzelne Mitarbeitende standen noch beratend zur Verfügung, konnten aber keine rechtsverbindliche Unterstützung leisten.

Das Projektteam bestand daher aus:

• einem CE-Beratungspartner (unser Ingenieurbüro),
• einem neuen Steuerungsbauer,
• einem Anlagenbauer für die Verrohrung,
• einem Elektrounternehmen für den Schaltschrankbau und für die Elektromontagen.

Ein zentrales Ziel war es, alle technischen Unterlagen zusammenzutragen, die noch vom insolventen Hersteller erhältlich waren: Stromlaufpläne, Zeichnungen, Bedienungsanleitungen und insbesondere die Risikobeurteilungen.

Dabei zeigte sich: Die Risikobeurteilung war nur teilweise vorhanden. Für einige Module fehlte sie vollständig. Betriebsanleitungen existierten nicht. Die Anlage hätte in diesem Zustand nie CE-konform in Verkehr gebracht werden dürfen.

In der Folge wurden
neue Risikobeurteilungen erstellt,
Maßnahmenlisten erarbeitet, um alle Sicherheitsanforderungen abzuleiten,
• und die Umsetzung durch die jeweiligen Fachfirmen überwacht und dokumentiert.

Die Koordination dieser Gewerke lag beim Betreiber, unterstützt durch uns als Projektleitung im CE-Bereich.

5. Projektfall 2: Papierbogenschneidmaschine in der Papierindustrie

Ein weiteres Projekt, das wir betreut haben, betraf eine Papierbogenschneidmaschine, die in einem Werk der Papierindustrie installiert werden sollte. Auch hier wurde während der Montagephase die Insolvenz des Lieferanten bekannt. Eine Konformitätserklärung lag nicht vor. Der Betreiber entschied sich, die Maschine selbst zu übernehmen und rechtskonform fertigzustellen.

Das zentrale Problem in diesem Fall war, dass sämtliche Sicherheitsfunktionen unvollständig dokumentiert oder überhaupt nicht beschrieben waren. Es lagen keine zuverlässigen Daten zur Sicherheitssteuerung, den Not-Halt-Ketten oder den Schnittstellen der Schutzeinrichtungen vor.

Um die Maschine dennoch in einen CE-konformen Zustand zu versetzen, war eine aufwendige Maßnahme erforderlich: Reverse Engineering.

Gemeinsam mit einem auf industrielle Schneidtechnik spezialisierten Ingenieurbüro wurden

• alle sicherheitsrelevanten Funktionen analysiert,
• das Steuerungsverhalten rekonstruiert,
• und neue Sicherheitsfunktionen konzipiert und getestet.

Auf dieser Basis wurden neue technische Unterlagen erstellt, einschließlich Risikobeurteilung, Sicherheitsbewertung und Betriebsanleitung. Die Anlage konnte anschließend nach erfolgreicher interner Prüfung in Betrieb genommen werden.

6. Technische und organisatorische Herausforderungen

Sowohl bei der Härterei-Anlage als auch bei der Papierbogenschneidmaschine zeigte sich, dass die größte Hürde in der mangelhaften oder fehlenden technischen Dokumentation liegt. Selbst wenn einzelne Komponenten betriebsbereit erscheinen, fehlen in der Regel

• Risikobeurteilungen in ausreichender Tiefe
• Schalt- und Stromlaufpläne
• Betriebsanleitungen
• Montage- und Installationsanweisungen
• Angaben zu Schnittstellen und sicherheitsrelevanten Steuerungen

In der Härterei-Anlage war beispielsweise die Sicherheitsabschaltung der Prozessöfen nicht korrekt ausgeführt. Notwendige Sicherheitskomponenten fehlten vollständig. Es wurden ungeeignete oder falsch dimensionierte Bauteile verwendet. Signalleitungen lagen nicht abgeschirmt neben Energieleitungen, ein klares Sicherheitsrisiko.

Zur Behebung dieser Mängel mussten Maßnahmenlisten erstellt und die Umsetzung technisch wie rechtlich dokumentiert werden. In der Praxis bedeutete das:

• Prüfung jedes Anlagenteils anhand der Maschinenrichtlinie
• Festlegung konkreter Nachrüstmaßnahmen
• Kontrolle der Ausführung durch externe Dienstleister
• Abschlussdokumentation und abschließende Risikobewertung

Solche Verfahren erfordern nicht nur Fachwissen, sondern auch eine klare Projektstruktur, technische Verantwortung und ein hohes Maß an Koordination zwischen den Beteiligten.

7. Kosten und Zeitfaktor bei der CE-Kennzeichnung nach Insolvenz

Die Entscheidung, eine teilweise montierte Maschine selbst fertigzustellen, bringt nicht nur technische, sondern auch erhebliche wirtschaftliche Herausforderungen mit sich.

Im Fall der Härterei-Anlage musste der Betreiber über eine Million Euro zusätzlich investieren für

• die Nachrüstung sicherheitstechnischer Komponenten,
• die Erstellung technischer Dokumente,
• die externe Begleitung durch Spezialisten,
• und die abschließende Konformitätsbewertung.

Hinzu kamen mehrere Monate Projektverzögerung, in denen die Anlage nicht genutzt werden konnte.

Trotz dieser Aufwände war es die wirtschaftlich sinnvollere Lösung im Vergleich zur kompletten Neuanschaffung, denn eine neue Maschine hätte nicht nur längere Lieferzeiten verursacht, sondern weitere Investitionen in ähnlicher Größenordnung erfordert.

8. Fazit: CE-Kennzeichnung bei Insolvenz ist möglich – mit klarer Verantwortung

Die Insolvenz eines Maschinenherstellers während der Montage ist ein Ausnahmefall, aber kein hoffnungsloser. Die CE-Kennzeichnung kann auch nachträglich rechtskonform durchgeführt werden, sofern der Betreiber die Verantwortung übernimmt und das Projekt strukturiert umsetzt.

Wesentliche Voraussetzungen sind:

• die Klärung aller Verantwortlichkeiten,
• die Sicherstellung oder Neuerstellung der technischen Dokumentation,
• und die konsequente Umsetzung sicherheitstechnischer Anforderungen.

Unsere Erfahrungen aus mehreren Projekten zeigen: 

Mit Know-how, Planung und einem starken Netzwerk an Fachfirmen ist es möglich, selbst komplexe Maschinen in einen CE-konformen Zustand zu versetzen, auch wenn der ursprüngliche Hersteller ausfällt.

Der wichtigste Ratschlag für Betreiber:

Handeln Sie schnell. Sichern Sie alle verfügbaren Unterlagen und holen Sie sich frühzeitig fachliche Unterstützung.

Denn wer nicht reagiert, riskiert nicht nur Produktionsausfälle, sondern auch erhebliche rechtliche Folgen im Falle eines Unfalls oder einer behördlichen Kontrolle.

"Lassen Sie uns prüfen, ob Sie die Herstellerhaftung übernommen haben und leiten Sie die notwendigen Schritte ein, um Ihre Sorgfaltspflicht zu erfüllen."

Dirk Leitsch

Ihr Experte für CE-Kennzeichnung von Maschinen und Anlagen.

Auch interessant für Sie:
>